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„Guggemada, de Scheen“: Drei Dresdner Jahrzehnte Helmut Schöns in einer neuen Biographie

Eine Buch-Rezension von:
Autor: Dr. Fabian Brändle, Zürich

Er ist gewiss einer der bekanntesten Söhne Dresdens im 20. Jahrhundert: Helmut Schön (1915 – 1996 in Wiesbaden). Als Aktiver war er Nationalspieler und in den Kriegsjahren Meister mit dem Dresdner SC, als Trainer betreute er Auswahlmannschaften der jungen DDR, des Saarlandes sowie, äußerst erfolgreich, der Bundesrepublik, mit der er 1972 mit einer „Wunderelf“ Europameister und zwei Jahre später als Krönung seiner Karriere auch Weltmeister wurde. Anders als die übrigen, in ihrer jeweiligen Art als „charismatisch“ wahrgenommenen Trainer der Weltmeisterauswahlen, „Sepp“ Herberger (1954), Franz Beckenbauer (1990) und Joachim „Jogi“ Löw (2014), galt der zurückhaltende, äußerst faire Schön in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit als durchsetzungsschwach. Der Sporthistoriker Bernd-M. Beyer legt nun im Göttinger Verlag „Die Werkstatt“ erstmals eine umfassende, flüssig geschriebene Biographie des „Langen“ vor und rückt dabei so manches gerade, was vorher nur schemenhaft bekannt war.

Beyer wertete unter anderem den Nachlass Schöns aus, las die drei Fassungen der Autobiographie gründlich, sprach mit Zeitzeugen und Nachfahren und arbeitete sich durch den Dschungel der Sportpresse. Leider sind wichtige Quellen kriegsbedingt verloren gegangen, so das Archiv des DSC. Der Autor zeichnet ein liebevolles Porträt eines kunstsinnigen, eher intellektuellen Mannes, der weiterdachte als an den nächsten Spieltag und seinen kleinen Teil zur „Demokratisierung“ der BRD beitrug.

Helmut Schön kam am 15. September 1915, mitten im Ersten Weltkrieg, in der Residenzstadt Dresden zur Welt. Vater Anton Schön war als Katholik eher ein Außenseiter. Er arbeitete sich vom Diener zum selbständigen Antiquitätenhändler hoch. Die Mutter, Ida Güttler, stammte aus der Lausitz, war als Hausmädchen tätig und heiratete Anton Schön 1902. Wie die meisten „Kleinbürgerfamilien“ mussten auch die Schöns spätestens ab 1918 hartes Brot essen. Die relative Armut trug aber nicht zu einer politischen Radikalisierung in Richtung Kommunismus oder Nationalsozialismus bei. Die katholische Herkunft und auch freundschaftliche Kontakte mit einigen Juden ließen die Schöns Anhänger des „Zentrums“ werden. Auch nach 1933 sind keine Belege bekannt, die einen Beitritt Helmut Schöns zur NSDAP belegen würden. Politik war im Hause Schön eher Nebensache, so Biograph Beyer. Dass Helmut Schön als bekannter Fußballer wie andere Sportstars auch vom Regime und dessen Repräsentanten vor Ort, beispielsweise von Gauleiter Martin Mutschmann, bis zu einem gewissen Grad vereinnahmt wurde, war wohl unvermeidlich. Doch: Wer ist schon zum Helden geboren? Jedenfalls witzelte Schön in privaten Kreisen gerne über das Regime.

Das Fußballspielen erlernte Schön als Bube als „Straßenkicker“ an der Struvestraße sowie später auf einer Parkanlage namens „Bürgerwiese“. Er galt schon bald als „Meester“ der wilden Knaben-Mannschaft, wegen seines Talents, aber auch, weil er zeitweise einen echten, teuren Lederball besaß. In seiner Phantasie heckte Schön eigene Ligen aus. Im Alter von zehn Jahren trat Schön trotz der Widerstände des Vaters gegen die „Fußlümmelei“ dem überregional bedeutungslosen Quartierverein „SV Dresdensia“ bei. Dort spielte Schön unter anderem gemeinsam mit dem späteren Ministerpräsidenten der DDR, Horst Sindermann, der ihm als „Kommunist“ vorgestellt wurde.

Bereits im Jahre 1930 wechselte der hochaufgeschossene, schlaksige Gymnasiast am „Bischöflichen St.-Benno-Gymnasium“ zum großen und erfolgreichen Dresdner SC (DSC), wo er bald für Furore sorgte. Der weit gereiste englische Trainer Jimmy Hogan, der als einer der Begründer des modernen Passspiels gilt, erkannte im Techniker Schön gewissermaßen einen „Seelenverwandten“ und förderte den „Langen“ entsprechend. Weltenbummler Hogan war vorher erfolgreicher Coach in Ungarn und Österreich gewesen, wo er maßgeblich zur Entstehung des „Scheiberlns“ (schnelles, verwirrendes Flachpassspiel) beigetragen hatte. Trotz seines reifen Alters zeigte Jimmy Hogan seinen Schützlingen so manchen Trick persönlich vor. Er legte auch Wert auf Kondition und Fitness seiner Spieler und arbeitete daher mit dem jungen, wissenschaftlich arbeitenden Leichtathletik-Trainer des DSC, Woldemar Gerschler, einem Begründer des anstrengenden Intervall-Trainings, zusammen. Aus Gerschlers Schule stammte beispielsweise der spätere Weltklasseläufer Rudolf Harbig (400 und 800 Meter).

Hogans Prominenz und Kontakte lockten Nationalspieler wie Richard Hofmann und andere Stars an, der zum Mentor des jungen Schön wurde. Der bullige, zweikampfstarke und eigenwillige Hofmann sowie der feingliedrige Schön bildeten ein kongeniales Duo beim DSC und später auch bei der Nationalmannschaft, für die Hofmann wegen eines kleinen Verstoßes gegen die Amateurklausel phasenweise gesperrt war. Techniker Schön begeisterte die zahlreichen Zuschauer am „Ostragehege“ mit Übersicht und Spielwitz, der DSC avancierte bald zur besten Mannschaft Sachsens und Mitteldeutschlands. Eine schwere, bald chronische Knieverletzung, die ihm immer wieder zu schaffen machte, ihn aber auch vor dem Einsatz an der Front retten sollte, verhinderte, dass Helmut Schön an den Olympischen Spielen 1936 in Berlin und an den Weltmeisterschaften 1938 in Frankreich teilnehmen konnte. Beide Anlässe gerieten sehr zum Ärger der Nationalsozialisten fussballerisch zum Fiasko: In Berlin verloren die Deutschen gegen Norwegen, in Paris als „großdeutsche“, mit Wiener Stars verstärkte Elf im Wiederholungsspiel gegen die Schweiz mit 2:4! So errang Schön seine größten Titel während des Zweiten Weltkriegs. Der DSC hatte sich zuvor mit einigen begabten Spielern aus dem seit 1938 deutschen „Sudetenland“ (Teplitz) verstärkt. Schön bestritt auch die meisten „Kriegsländerspiele“, die der Bevölkerung eine gewisse Normalität vorgaukeln sollten und die guten Kontakte zu neutralen Staaten (Schweden, Schweiz) oder Verbündeten (Slowakei, Ungarn) zementieren sollten.

Früh schon interessierte sich Schön auch für Taktikfragen. Er lernte Trainer „Sepp“ Herberger, den „Chef“, bei Lehrgängen kennen und schätzen. Der autoritäre, machtbewusste Herberger, Mitglied der NSDAP; erkannte einerseits bald das spielerische und taktische Potenzials Schöns, hielt den äußerst fairen Techniker andererseits aber für zu „weich“ bei harter Gegenwehr. Nach dem Krieg setzte sich der „Chef“ für den mittellosen Schön ein, der jahrelang, bis 1964, sein Assistent beim DFB war. Das Verhältnis der beiden war aber nicht immer einfach und auch von Neid des Älteren, der als „Sesselkleber“ den richtigen Zeitpunkt zum Abgang verpasst hatte, geprägt. So war es immer Herbergers Traum gewesen, seinen Liebling und „verlängerten Arm“, den Lauterer Spielmacher Fritz Walter, zu seinem Nachfolger zu bestimmen. Walter hatte aber erkannt, dass er sich für diesen Beruf nicht eignete.

Schön arbeitete unterdessen schon viele Jahre für ein Pharmaunternehmen als Kaufmann. Er überstand den Krieg und auch den Februar 1945 unverletzt und galt den neuen Machthabern zunächst als ein verlässlicher Partner. Nach der Zwangsauflösung aller „bürgerlichen Sportvereine“ trat Schön als Spieler und dann als Spielertrainer wie die meisten DSCler der SG Friedrichstadt bei. Er bestritt als „Zonenspringer“ auch einige Spiele für den FC St. Pauli, ehe er als Autodidakt 1949 zum Cheftrainer der Ostzonen Auswahl berufen wurde, in Ungnade fiel. 1950 abberufen wurde und am 26. Mai 1950 nach Westberlin übersiedelte.

Beyer, Bernd-M.: Helmut Schön. Eine Biografie. Göttingen: Verlag Die Werkstatt 2017.

Diese Buch-Rezension stammt von Dr. Fabian Brändle. Wir bedanken uns für den Beitrag!

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